Tradition und Moderne: breites Themenspektrum bei den Fahrern

Zum zweiten Mal in diesem Jahr trafen sich die Mitglieder der Fachgruppe Fahren (Wir-sind-Fahrer.de) zur Jahrestagung mit Trainer-Fortbildung. Im Frühjahr im westfälischen Selm war es die Nachholung der Corona-bedingt ausgefallenen 2021er Tagung, nunmehr das reguläre Jahrestreffen, dieses Mal im oberfränkischen Pottenstein (Bayern). Das bereits als Schauplatz einiger Seminare und Traditionsfahrwettbewerbe bekannte Schloss-Kühlenfels erwies sich nicht nur als landschaftlich und architektonisch attraktiver Tagungsort, sondern konnte mit Gastgeber Hans-Jörg Wildung und seinem Team auch fachlich einen weiten Bogen schlagen. Anhand praktischer Beispiele wurden die Besonderheiten der Anspannung ein einachsiger Wagen diskutiert, die in Deutschland im Turniersport seit vielen Jahren mit gerümpfter Nase betrachtet werden, ganz im Gegensatz zu Großbritannien oder Skandinavien. Diese Fahrzeuge so anzuspannen, dass sie den Pferden keinen unnötigen Druck um Rücken verursachen und gleichzeitig gut ausbalanciert sind, erfordert Erfahrung und Sensibilität des Fahrers und Ausbilders.

Eine bei ländlichen und gewerblichen Gespannen noch häufig anzutreffende Anspannungsart beim Zweispänner ist die Spielwaage, die im Gegensatz zu der in der Achenbach’schen Fahrlehre bevorzugten halbfesten oder festen Anspannung im Turniersport weitgehend unbekannt ist. Die etwas verzögerte Reaktion des Gespanns bei Wendungen könnte aber umgekehrt sogar ein besonderer Vorzug in Richtung Pferdeschonung darstellen. Christel Erz, Co-Autorin einiger Fahrlehrbücher und Fuhrhalterin von der Schwäbischen Alb demonstrierte Vorteile und Besonderheiten dieser Anspannungsart gemeinsam mit der Fahrtrainerin Claudia Stark und gab Anlass zu munteren Diskussionen.

Die Besichtigung der Kutschensammlung Wildung mit über 50 überwiegend historischen Fahrzeugen gab vor allem einen Eindruck davon, dass schon vor 150 Jahren Pferdeschonung ein wichtiges Thema war. Unterhaltsame Anekdoten des Gastgebers, wie er an dieses und jenes Fahrzeug gekommen ist und was es im Zuge der Restaurierung von „Scheunenfunden“ zu entdecken gibt, faszinierte selbst eingefleischte Sportfahrer, zumal deutlich wurde, dass man für schöne, alte Wagen keinesfalls ein Vermögen ausgeben muss, um Freude zu haben und wettbewerbsfähig zu sein.

Der aktuelle Turniersport stand im Fokus der Diskussionsrunde „Fahrsport 3.0“: rückläufige Starterzahlen und Fahrturniere sind im Fahrsport weitaus gravierender als im Reitsport. Die Kostenexplosion in allen Bereichen, aber auch rückläufigen Zahlen junger Fahrer, die nach der Fahrabzeichenprüfung den Weg in der Turniersport finden, machen Sorgen. Wegbrechende Veranstaltungszahlen sollen durch neue und weniger aufwändige Turnierkonzepte kompensiert werden. Die von der Fachgruppe kreierte und in den Entwurf des neuen Aufgabenheftes 2024 übernommene komprimierte Kurzprüfung einer Fahraufgabe mit bereits auf dem Dressurplatz integriertem Parcours für Ein-Tages-Turniere bzw Veranstalter mit geringem Platzangebot ist eine solche Innovation.

Ein Highlight der Veranstaltung war – neben dem traditionellen Fahrerabend – der kurzweilige und mit Video-Sequenzen unterlegte Vortrag der Pferdewirtschaftsmeisterin und Turnierrichterin Astrid Botterbrodt-Weilage aus Bremen zur Anwendung der Ausbildungsskala beim Fahrpferd. Keine trockene Materie, sondern ein lebhafter Appell, sich die Naturgesetze bei der Fahrausbildung zunutze zu machen und zugleich Gesundheit und Nerven der Fahrpferde zu schonen, ohne auf Höchstleistungen verzichten zu müssen. Rolf Schettler